Mittwoch, 24. September 2014

10. Tag: Bauernherbstfest und Almabtrieb in Maria Alm

Der Samstag des Bauernherbstfestes ist immer ein ganz besonderer Tag. Seitdem ich im September nach Maria Alm fahre, also seit 2009, seitdem helfe ich fast immer an diesem Bauernherbstfest bei einem Bauern beim geschmückten - hier sagt man "aufgekranzten" Almabtrieb mit.
Bei den Lettenbauern helfe ich in jedem Jahr mit, egal ob die Kühe aufgekranzt sind oder nicht, egal, an welchem Tag der Almabtrieb stattfindet.
Die Arbeit ist immer da, egal ob da ein paar hundert Leute in Maria Alm am Straßenrand stehen, wenn die Kühe im Rahmen des Bauernherbstfestes durch den Ort getrieben werden oder eben niemand auf uns wartet.
Ich mache das ganz einfach gerne. Das mag auch damit zusammenhängen, dass ich als Kind mit meiner Familie Urlaub auf dem Bauernhof gemacht habe und dort auch immer abends in den Stall gerannt bin, um die Kühe zu füttern...

An diesem Samstag heißt es früh aufstehen, schnell ein halbes Brötchen essen und los gehts. Da die Haare schon am frühen Morgen hochgesteckt und das Dirndl angezogen werden muss, muss ich natürlich noch eher aufstehen...
Um 7 Uhr werde ich vom Lettenbauern, Hubert, mit dem Auto abgeholt, und auf geht´s über Hintermoos zur Lettenalm.
Dort muss ich feststellen, dass alle anderen Kittel überziehen oder ihre Dirndl in Arbeitshosen stopfen. Dass ich wahrscheinlich lustig besprenkelt - mindestens - aussehen werde, wenn ich in hellgrauer Schürze und grünem Dirndl hier durch den Stall laufe - dazu muss man wissen, dass aufgeregte Kühe einen regen Stuhlgang haben und dies nicht immer durch pupsende Geräusche vorab angekündigen... - hätte ich mir ja denken können. Naja, Schürze abgebunden und den Dirndlrock hochgeklappt. Da es morgens recht frisch war, hatte ich mir schlauerweise meinen kurzen Unterrock druntergezogen. Ist ja hier kein Schönheitswettbewerb. Ich hatte nur Sorge, dass ich in der Eile vergessen könnte, das Dirndl wieder herunterzuklappen, wenn wir im Ort ankommen, aber es sei vorab verraten: Ich habe dran gedacht!

Nach einen kleinen Frühstück werden die Kühe in den Stall geholt und angekettet, die Kälber werden in einen Laufstall gesperrt.

Der Plan sieht wie folgt aus:

- Aufkranzen bis 10:15 Uhr
- Abmarsch spätestens um 10:30 Uhr
- Ankunft in Maria Alm gegen 13:00 Uhr

Soweit die Theorie...

Die Kühe sind von Anfang an sehr aufgeregt, tänzeln im Stall hin und her, schubsen sich und uns. Knapp 40 Tiere sind es, die jetzt hier im Stall stehen und alle kennen der Letten-Toni und die Maria, aber auch die Praktikantin Viktoria, die in diesem Sommer mit auf der Alm war, mit Namen. Deshalb gelingt es immer wieder die nervösen Kuhdamen zu beruhigen. Die Kälber sind sowieso relativ still und brav.

Nach und nach werden den Mutterkühen und werdenden Müttern die Glocken umgebunden und die Kopfkränze aufgesetzt. Unglaublich, was sich die Familie Arberger da für Mühe gegeben hat, jeden Schmuck anders ausschauen zu lassen.

Hier mal ein Blick in die Alm:




Immer wieder geht es mit den Kühen durch und so manches mal müssen wir uns vor ihnen in Sicherheit bringen. Die können einen ja locker an der Wand zerdrücken.

Alle versuchen, die Kühe zu beruhigen. Da werden Köpfe und Hinterteile gestreichelt, und es wird beruhigend auf sie eingeredet.

Um kurz nach 10 sind wir mit dem Aufkranzen fertig. Die Kälber haben sich teilweise auch sehr geduldig die Glocke oder den Kranz befestigen lassen. Andere waren da ein wenig störrischer.

Toni beginnt nun, die einzelnen Tiere nach und nach von den Ketten zu lösen. Die Kühe toben teilweise aus dem Stall, einige rennen eine Runde im Stall auf uns zu oder gegen ihre Kuhfreundinnen, die dadurch natürlich auch aufgeregter werden. Den ein oder anderen Blumenschmuck "zerreißt" es schon im Stall.
Vor dem Stall laufen die Kühe aufgeregt im Kreis, und wir versuchen, sie zu beruhigen und zurückzuhalten, bis alle Kühe und Kälber den Stall verlassen haben. Die Stalltür geht auf, die Kälber flitzen los. Die Kühe durchbrechen unsere Absperrung, wollen wir es mal im Polizeideutsch ausdrücken, und flitzen bergab über die Almwiesen in Richtung Morast und Gräben. Dazu muss man vielleicht wissen, dass die Alm 60 ha groß ist....

Es ist 10:15 Uhr, eigentlich wollten wir jetzt los. Stattdessen verbringen wir die nächsten gut 3 Stunden damit, die Kühe so nach und nach wieder einzufangen. Zumindest einen Teil davon...

Den Fotografen, der extra vorbeigekommen ist, freut es: Er kann viele Bilder von geschmückten Kühen mit Hochkönigblick schießen.
Seine eigentlichen Vorstellungen: 2-3 geschmückte Kühe stehen brav neben Mann und Frau in Lederhose oder Dirndl   Das wäre auch mit entspannteren Kühen nicht möglich gewesen...

Die Jungs flitzen in den Graben hinunter, wir Mädels flitzen seitlich über die Grashänge, um zu verhindern, dass die Tiere eine weitere Runde drehen und wieder zum Graben zurückrennen. Ein "Ratsch" und ich habe ein wenig mehr Beinfreit im Unterrock. Für den Betrachter war das aber noch zumutbar ;-)

Dabei geht es durch kleine Bäche, ziemlich sumpfige Bereiche, über rutschige Wiesen. Ich denke immer nur: nicht hinfallen, sonst musst Du im dreckigen Dirndl durch den Ort laufen...

Und wenn ich überlege, wie die Kühe und Kälber am Ende aussahen, wäre das wirklich nicht erstrebenswert gewesen...

Zwischendurch halte ich den ein oder anderen in Maria Alm per sms auf dem Laufenden. So ein Smartphone passt - zumindest bei mir - vorne wunderbar ins Dirndl. Ein kleines Handy würde "durchflutschen" ;-)

Wir - Kühe und Treiber - sind schon kaputt, bevor es eigentlich so richtig losgeht.

Hochkönigblick und unsere "eingefangenen" Kühe
Da weiden sie, als könnten sie kein Wässerchen trüben...


Als wir mit 3 Stunden Verspätung starten wollen, wollen die Kühe nicht gehen. Dann, auf einmal, hat die erste Kuh kapiert, dass wir jetzt "heimgehen" und trabt los, die anderen 33 hinterher. Und mit "Traben" meine ich "Traben", was gleichzeitig bedeutet, dass die Treiber, also auch ich, auch bergab traben. In meinem Fall mit Bergschuhen und hochgeklapptem Dirndl mit leicht zerrissenem Unterrock. Vielleicht sind sie vor Schreck losgetrabt?

Wie bei den Wanderungen mache ich das Schlusslicht, hier allerdings mit Ingrid, und kümmere mich um die Langsamsten im Feld. Eine Kuh und ein Kalb sind nicht so lauffreudig. Während das Kalb irgendwann den Anschluss findet, ist die tragende Kuh nicht so für Sport in der Schwangerschaft zu haben. Wir machen einen auf Motivationstrainer, reden der Kuh gut zu und können sie zumindest ab und zu dazu bewegen, doch einen Schritt schneller zu gehen. Heißer Tipp: Vor der Kuh den Berg heruntertraben und ihr aufmunternde Worte zurufen. Klappt beim Wandern, klappt beim Almabtrieb.

An der Wasserstelle und auch wenige Meter danach gelingt es uns - naja, eigentlich unserer Kuh - den Anschluss zu halten.
Links die langsame Kuh - zumindest ihr Hinterteil


An der Wasserstelle - Ausruhen für alle

Bis Hintermoos gelingt es uns nicht, an die Herde heranzukommen. Außerdem müssen wir uns auf dem Weg und im Gehen noch ein wenig hübsch machen, Schürze umbinden, Dirndl herunterklappen, etwas trinken...

Stella und Alan sind schon wieder in Hintermoos, als wir dort unten ankommen. Die aufziehenden, sich auftürmenden Wolken hatten sie abgeschreckt und vom Bauernherbstfest weggelockt.
Alan dachte schon, dass er mich vielleicht verpasst hat, weil er mich nicht bei der Herde gesehen hat, aber Stella kennt ihre Pappenheimer und weiß, dass mein Herz für die langsamste Kuh schlägt.

In der Dirndlrocktasche habe ich einen ordentlichen Schnaps für die beiden. Flachmann und Gläschchen passten so gerade hinein, und es ist halt der Brauch, dass Senner und Treiber Schnaps ausschenken. Da ich bisher nur ein Brötchen gegessen hatte, verzichte ich mal auf den Schnaps, sonst müsste ich wahrscheinlich auf einer Kuh ins Dorf reiten, weil mich der Schnaps so umhaut...

Hier das Beweisfoto: Flachmann bereit... und im Hintergrund: die berühmte Kuh!

 Ab Hintermoos geht es dann etwa 5 km über die Bundesstraße. Heute sperren Polizei und Feuerwehr für uns die Straße, welch ein Luxus... Naja, zumindest von hinten wird der Verkehr aufgestoppt. Von vorne kommt noch der ein oder andere, bedeutet für uns: Küheschubsen... Die Kühe sehen ja nicht so gut und wollen natürlich, neugierig wie sie sind, mal näher ran um zu schauen, was denn da so vor ihnen ist.
Das Küheschubsen habe ich schon bei meinem ersten Almabtrieb von den Jungs gelernt. Lederband der Glocke anfassen, leicht in die gewünschte Richtung ziehen und gleichzeitig die Kuh mit dem Körper leicht schubsen. Funktioniert manchmal... Bevor ich von der Kuh ans Auto gequetscht werde, gehe ich natürlich weg. Was ist ein Außenspiegel gegen einen heilen Körper, vor allem meinen heilen Körper :-)
Wir sind eh alle froh, dass sich dort oben auf der Alm niemand verletzt hat. Um die Kränze, die bei dem Ausbruch kaputtgegangen sind, ist es furchtbar schade, aber verletzt hat sich eben niemand...



Da ich ja mein Handy griffbereit dabei habe, kann ich hin und wieder mal ein kleines Bild schießen, damit ihr einen Eindruck davon bekommt, wie wir so ausgesehen haben.











Es erfüllt mich schon mit Stolz, dass ich die schön geschmückten Kühe und Kälber mit ins Tal bringen darf. Und dann diese vielen Glocken, die so fröhlich vor sich hinbimmeln...

Unzählige Leute bleiben mit dem Auto stehen und machen Bilder von uns. So ein Almabtrieb ist immer etwas Besonderes.

Obwohl wir wirklich an jedem Wasserloch und -trog anhalten, hängen die Kälber die Zungen raus, gehen die Kühe sehr langsam vorwärts. Da hilft nur gutes Zureden.

Ab Unterberg schließen sich dann ein paar schön geschmückte Pferde, kurz vor Maria Alm dann noch ein paar Geißen unserem Zug an.

Kurz vor Maria Alm mag das eine Kalb nicht mehr laufen und bleibt einfach stehen. Ich nehme es am Glockenband, kraule ihm den Nacken - das lässt es sich völlig entspannt gefallen - und motiviere es irgendwie zum Weitergehen. Sobald ich das Glockenband loslasse, bleibt es aber wieder stehen. So führe ich es ein wenig wie einen Hund an der Leine, und gemeinsam kommen wir in Maria Alm an.

Die 3 Stunden Verspätung haben wir nicht aufholen können, da die Tiere und wir schon sehr müde waren. Trotzdem stehen die Leute im dichten Spalier und warten auf uns. Ich bin natürlich wieder bei den Nachzüglern.

Den ein oder anderen Mitwanderer, Brigitta und Tommy aus Schweden zum Beispiel, und andere Gäste bei Anny bemerke ich am Straßenrand, weil sie mich laut rufen. Ansonsten blicke ich nur in Kameralinsen, I-Pads, I-Phones, Smartphones,... in alle Linsen dieser Welt. Gesichter sind kaum zu sehen.

Auch die langsamten Kühe werden hier ein wenig schnell, das Adrenalin...

Am Ortsausgang wollen einige Kühe und Kälber einfach nicht mehr. Schritt für Schritt näheren wir uns dem Lettenhof, der noch ein wenig entfernt am hintersten Ende des Dorfes liegt. Die aufmunternden Worte gelten jetzt nicht nur den Kühen, sondern auch uns. Es ist immer noch ziemlich war, die Sonne brutzelt auf uns herunter, getrunken haben wir nicht viel, gegessen seit 7:30 Uhr gar nichts...

Als wir endlich ankommen, gönnen wir uns einen kurze Verschnaufpause, weil wir schon befürchten, dass wir für das Abkranzen der Tiere noch mal jede Menge Energie brauchen.
Geschafft...

Das Abkranzen geht erstaunlich gut. Die ein oder andere widerspenstige Kuh - nach unserem Eintreffen hatten sie sich fast alle auf die Wiese plumpsen lassen, aber hatten sich ziemlich schnell wieder erholt... - musste von uns noch ein wenig gezähmt werden. In Rekordzeit von 30 Minuten sind alle ihre Kränze und Glocken los und können ab jetzt stressfrei grasen.

Wir selbst flitzen alle schnell nach Haus und machen uns ein wenig frisch. Der Kuhdreck muss weg...

Um 17:30 Uhr gehen wir ins Dorf. Gleichzeitig fängt das schon für den Mittag erwartete Gewitter an. Das war´s mit dem Bauernherbstfest. Als wir in den Ort kommen, sind bereits alle Stände, die meisten Essenstände auch, abgebaut. Schade, dass wir davon nichts mehr mitbekommen werden. Es wird aber noch an einigen Orten auf den Bühnen Musik gespielt.
Wir sind zum Essen eingeladen und drängen uns auf die Bänke unterhalb eines Balkons, der den Regen abhält.
Einige hatten nicht so viel Glück und mussten unter dem Schirm sitzen und essen. Naja, die Jungs sind ja noch jung...
Schweinebraten, Leberkäse und Kartoffelsalat (hier: Erdäpfelsalat) haben noch nie so gut geschmeckt.

Da sind die Teller noch leer...

Danach war mein Akku leer... Deshalb muss auf abendliche Fotos verzichtet werden. Nur soviel: Nach dem Temperatursturz ist mir ziemlich schnell kalt geworden und ich bin gesittet und mit gradem Gang nach Hause.


Das war ein abenteuerlicher Tag. Aber wir hatten trotzdem so viel Spaß!

Und allen, die geschimpft haben, weil wir nicht "pünktlich" in Maria Alm eingetroffen sind, sei gesagt: Wir hätten auch gerne darauf verzichtet, drei Stunden lang über Stock und Stein, durch Gräben und Matsch den Kühen hinterherzulaufen, um sie zusammenzutreiben. Dann hätten wir alle auch noch etwas mehr vom Fest gesehen. Und wir sind alles Freiwillige, die ohne Bezahlung diese Arbeit erledigt haben. Und obwohl wir großen Hunger hatten, haben wir mittags oben auf der Alm nichts mehr gegessen, weil wir wussten, dass unter anderem SIE auf uns warten.
Also: nicht meckern, sonder nachdenken und nachfragen!

PS: Im nächsten Jahr möchte ich wieder dabei sein!


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